BLOG

Published 22 August 2011

“Das Problem ist, dass Antibiotika die Patienten tastächlich heilen” – Interview mit Thomas A. Steitz

Thomas A. Steitz erhielt 2009 zusammen mit Ada Yonath und Venkatraman Ramakrishnan den Nobelpreis in Chemie für sie Strukturaufklärung des Ribosoms. Wie diese Forschungen zu neuen Antibiotika führen werden, warum es immer Resistenzen geben wird und was es noch zu erforschen gibt, darüber redet er in diesem Interview. Steitz ist nach wie vor aktiver Forscher am Lehrstuhl für Molekulare Biophysik und Biochemie der Universität Yale.

 

Thomas A. Steitz auf der Insel Mainau. Bild: Tobias Maier

Professor Steitz, dieses Jahr handelte das Lindauer Meeting von Medizin, doch mehr als die Hälfte aller Nobelpreisträger in Lindau waren Chemiker oder Biochemiker. Ist das ein Trend?

Die Grenzen zwischen Chemie, Physiologie, Medizin und Molekularbiologie verwischen sich heutzutage. Es ist ziemlich üblich, dass Forscher in diesen Gebieten in andere Felder wechseln und wieder zurück. Der größte Teil der molekularen Medizin ist letztendlich Chemie, und Pharmakologie größtenteils auch. Ich denke auch, dass eine ganze Menge der Preise in Physiologie und Medizin auch in Chemie hätte verliehen werden können, und zweifellos auch andersherum: Einige der Chemie-Preise gehören eigentlich in Physiologie oder Medizin.

Tatsächlich sagen einige Chemiker "Oh, dieser Preis ist aber keine richtige Chemie" – und sie sagen das auch über das Ribosom, ich habe es in der Presse gelesen – "Das ist keine echte Chemie, das gehört in Physiologie oder Medizin." Ich persönlich finde, dass es echte Chemie ist, die strukturellen und mechanistischen Grundlagen des Ribosoms zu entschlüsseln. Als ich mit meiner Forschung begann, wollte ich herausfinden, wie das aktive Zentrum den nukleophilen Angriff der wachsendenden Peptidkette auf die tRNA katalysiert. Wenn das keine Chemie ist, was dann?

Was gibt es im Ribosom noch zu entdecken?

Die Erforschung des Ribosoms geht recht gut voran. Kürzlich habe ich mich mit früheren Mitarbeitern getroffen und mit ihnen über Komplexe des 70S-Ribosoms mit verschiedenen Kofaktoren geredet, die an der Interaktion mit der tRNA und der Translokation beteiligt sind, und über andere Proteinfaktoren wie Release Factors und Termination Factors, die am Zyklus der Proteinsynthese beteiligt sind. All das ist inzwischen gut untersucht.

Der Teil der uns noch fehlt ist der Beginn des Prozesses: Was genau passiert, wenn tRNA und Kofaktor an die 30S-Untereinheit binden und sie mit der 50S-Untereinheit in Kontakt bringen? Einige Puzzleteile des Rätsels zeigen sich grade am bakteriellen Ribosom. Die jüngst entschlüsselte Struktur der 40S-Untereinheit beleuchtet die Unterschiede zwischen der bakteriellen 30S-Untereinheit und der eukaryotischen 40S-Untereinheit – auch letztere bindet einen Initationsfaktor, aber von jenen gibt es noch viel mehr, die an diesem Vorgang beteiligt sind. Die biochemischen Grundlagen kennen wir inzwischen, aber die strukturelle Basis des Mechanismus, das Gleiten entlang der mRNA, und wie der Anfang der mRNA überhaupt erkannt wird, wie das 40S zum 60S gelangt und eigentlich die kompletten Mechanismen all dieser Vorgänge, das ist noch sehr schlecht verstanden.

Wie übersetzt man das Wissen um das Ribosom in medizinischen Fortschritt, zum Beispiel neue Antibiotika?

Solche Antibiotika werden bereits entwickelt, und die Grundlagen für diese Forschungen sind im Prinzip gelegt. In meinem Vortrag in Lindau habe ich ja bereits ein Pharmaunternehmen erwähnt, das ich mit Kollegen gegründet habe, und das bewältigt diese Aufgabe sehr gut. Soweit ich weiß haben sie bereits eine Reihe möglicher neuer Antibiotika in der Pipeline, die alle auf der Strukturaufklärung des Ribosoms basieren.

Die Untereinheiten des Ribosoms. Bild: RCSB Protein Data Bank

Dazu haben sie weiter Strukturaufklärung betrieben, einerseits an Komplexen des Ribosoms und seiner Untereinheiten mit neuen Antibiotika, aber andererseits auch an Komplexen mit bereits bekannten Antibiotika. Was wir auf diese Weise über bekannte Wirkstoffe erfahren, hilft uns, im Computer neue Antibiotika entwerfen. Drug Design betrifft Fragen der Mikrobiologie und der chemischen Synthese, und natürlich die verschiedenen Nebeneffekte wie Toxizität oder Bioverfügbarkeit. Es reicht eben nicht, einen Inhibitor herzustellen, es muss ein geeigneter Wirkstoff sein und das heißt es darf weder giftig sein noch starke Nebenwirkungen haben, und er muss überhaupt erst mal in die Zelle hinein kommen. An all dem arbeitet man, und ich denke es geht gut voran. Wie ich schon sagte sind einige dieser Verbindungen dabei, klinische Tests der Phase II zu bestehen, und einige weitere gehen jetzt in die klinische Prüfung.

In der Vergangenheit war es aus ökonomischen Gründen nicht attraktiv für Pharmafirmen, neue Antibiotika zu entwickeln. Hat sich das geändert?

Nein, tatsächlich halte ich das nach wie vor für ein großes Problem. Warum sind die großen Pharmaunternehmen, die Antibiotika entwickelt haben, aus der Forschung ausgestiegen? Ich vermute das Problem aus ihrer Sicht ist, dass Antibiotika die Patienten tatsächlich heilen. Ein Antibiotikum nimmt der Patient zwei Wochen lang, dann ist er gesund und braucht das Medikament nicht mehr zu kaufen. Das Statin Lipitor muss man dauerhaft einnehmen – für ein Geschäftsmodell ist das natürlich eine viel bessere Basis. Ich weiß natürlich nicht was sie tun werden, sobald der Patentschutz von Lipitor ausläuft…

Antibiotika müssen sich wohl oder übel mit resistenten Stämmen herumschlagen, deswegen hat so ein Antibiotikum einerseits von vornherein eine begrenzte Lebensdauer. Für uns alle wäre es besser, wenn es anders wäre, aber es ist so. Aus der Sicht eines Pharmaunternehmens kann man das aber auch als dauerhaftes Ziel für neue Entwicklungen betrachten. Ein gutes Antibiotikum bringt eine halbe bis eine Milliarde Dollar pro Jahr. Viele Leute wären froh, wenn sie einen Markt von einer Milliarde Dollar für ihr Produkt hätten, es kommt also auch auf die Betrachtungsweise an. Aber insgesamt ist das natürlich ein Problem: Wie bekommt man Unternehmen dazu, etwas zu produzieren was ihnen weniger einbringt als sie gerne daran verdienen würden? Je effektiver eine Strategie gegen ein Bakterium ist, desto weniger Geld bringt der Wirkstoff ein. Wie geht man damit um?

Sie sagen, jedes Antibiotikum habe eine begrenzte Lebensdauer. Kann man dagegen etwas unternehmen?

Patentschutz für Antibiotika würde auf jeden Fall helfen, denn der Hauptgrund für Resistenzentwicklung ist, dass Antibiotika generisch verfügbar werden, wenn der Patentschutz ausläuft. Zu Beginn ist der Wirkstoff so teuer, dass nur ein begrenzter Markt existiert, und außerdem ist er meist verschreibungspflichtig. Also neigen die Leute dazu, es in angemessener Weise zu verwenden. Wenn der Patenzschutz ausläuft, wird das Medikament überall auf der Welt in großen Mengen produziert, speziell auf den asiatischen Märkten werden Antibiotika sehr billig verkauft. Entsprechend häufig werden sie unsachgemäß benutzt, und dadurch entstehen Resistenzen.

Ich weiß nicht wie man das Problem lösen kann – man kann den Leuten natürlich sagen dass sie das nicht tun sollen, aber wie will man sie zwingen? Das ist schwer. Und ich sage letztendlich: Die Evolution wird immer über Intelligent Design siegen, egal ob wir über die Entstehung der Welt oder die Entstehung von Antibiotikaresistenzen sprechen. Dieses Problem wird uns erhalten bleiben. Ich sehe keinen Weg, ein Antibiotikum zu erschaffen, gegen das ein Organismus keine Resistenz evolvieren kann.

Sequenz und Struktur des eukaryotischen Ribosoms sind dem der Bakterien unglaublich ähnlich, die Unterschiede sind so gering, wenn man ein bakterielles Ribosom so verändert, dass sein aktives Zentrum so aussieht wie das eines eukaryotischen Ribosoms, dann wird es völlig einwandfrei funktionieren, oder wenigstens ziemlich gut. Und was bleibt dann als Zielstruktur übrig?